Dracula - Jagd der Vampire
mit
Dracula - Die Geschichte des berühmten Vampirs

Marcus Ebeling verglich das im Jahre 1970 von Konrad Halver inszenierte Hörspiel "Dracula - Jagd der Vampire" mit dem vom Körting-Team überarbeiteten Nachfolger "Dracula - Die Geschichte des berühmten Vampirs" (1976). Das Ergebnis ist hier nachzulesen und gibt Satz für Satz darüber Auskunft, wo Hella von der Osten-Sacken und Heikedine Körting die Schere angesetzt haben. - Übrigens: die Kürzungen bzw. Neubearbeitungen wurden am Masterband des alten Hörspiels vorgenommen ...

 
Die Faustregel zum Lesen der Hörspielabschrift:

 
• Schnitte, die den ursprünglichen Text enthielten, sind fettgedruckt.

Van Helsing: Es muß also nachts ständig jemand bei ihr Wache halten.
 
In diesem Fall sagt Van Helsing in Dracula - Jagd der Vampire "Es muß also nachts ständig jemand bei ihr Wache halten.", in Dracula - Die Geschichte des berühmten Vampirs dagegen "Es muß ständig jemand bei ihr Wache halten."

 
• Ergänzungen, die in der Urfassung fehlen, sind unterstrichen.

Van Helsing: Rasch, Harker, fort von hier, ehe die anderen auf dem Schloß uns bemerken.
 
In diesem Fall sagt Van Helsing in Dracula - Jagd der Vampire "Harker, fort von hier, ehe die anderen auf dem Schloß uns bemerken.", in Dracula - Die Geschichte des berühmten Vampirs dagegen "Rasch, Harker, fort von hier, ehe die anderen auf dem Schloß uns bemerken." Oft wurde das neu hinzugefügte Satzelement nicht wirklich neu gesprochen, sondern stammt aus einer anderen Dialogstelle. Tatsächlich findet sich einige Zeilen über dem hier angegebenen Satz ein fettgedrucktes "Rasch!".
Passagen, die in der Transkription doppelt - einmal fettgedruckt, einmal unterstrichen - auftauchen, wurden bei der Überarbeitung also verschoben. Wirklich neu gesprochen wurden nur einige Sätze Mina Murrays und die kompletten Parts der Vampirbräute. Deshalb sind die beiden Szenen mit den drei Vampirbräuten auch jeweils doppelt (mit einem Strich voneinander abgegrenzt) aufgeführt: Zuerst liest man die Szene der Urfassung, danach die Szene der Neubearbeitung.

 

Die Sprecher

Erzähler	                   Hans Paetsch
Graf Dracula	            Charles Regnier
Jonathan Harker	           Michael Poelchau
Mina Murray	             Reinhilt Schneider
Professor Van Helsing           Werner Hinz
Lucy Westenraa	                Herma Koehn
die Wirtin	              Katharina Brauren
der Postillon	              Rudolf Fenner
1. Vampirbraut	              Heike Kintzel 
1. Vampirbraut               "Pamela Punti"
2. Vampirbraut	 Hella von der Osten-Sacken
2. Vampirbraut                 Manuela Dahm
3. Vampirbraut	          Ingeborg Kallweit
3. Vampirbrait                 Heidi Berndt

Hörspielscript: Konrad Halver
Bearbeitung und Regie: Konrad Halver / Heikedine Körting


© Transkription & Versionenvergleich: Marcus Ebeling • Umsetzung in HTML: Sven Haarmann (12. April 1999)

Seite 1

Übersicht
  (Orgelmusik.)
Erzähler: Im Nordteil Rumäniens liegt, von den schroffen Felsen des hufeisenförmigen Karpatengebirges eingeschlossen, das Land Siebenbürgen. Früher hieß es Transsylvanien, und man sagte seinen Einwohnern nach, sie seien stark abergläubisch. Vor vielen Jahrzehnten nun stieg der junge englische Anwaltsschreiber Jonathan Harker in der alten Stadt Bistritz, die im nördlichen Teil Transsylvaniens am Fuße des Gebirges liegt, im Hotel "Goldene Krone" ab. Er war im Auftrage seines Herrn, des Londoner Rechtsanwaltes Mr. Hawkins, unterwegs, um den Grafen Dracula aufzusuchen, dessen entlegenes Schloß sich einige Stunden von Bistritz entfernt in den Bergen befinden sollte. Harker hatte es sich gerade auf seinem Zimmer bequem gemacht, als die alte Wirtsfrau unvermutet und ungestüm die Kammer betrat und ihm mit starrem, angsterfüllten Blick einen Brief aushändigte.
   
  (Tür wird geöffnet, Schritte.)
Wirtin: Junger Herr! Junger Herr, eine Nachricht für Sie ...vom ... vom ...
Harker: Vom Grafen Dracula, nehme ich an. - Sie bekreuzigt sich. Was soll das?
  (Harker öffnet den Brief.)
  Aha ... hm ... "Lieber Freund, willkommen in Transsylvanien. Ich bin ungeduldig, Sie kennenzulernen. Morgens um drei Uhr geht die Postkutsche ab, die über den Borgo-Paß in die Bukowina fährt. Auf der Paßhöhe wird mein Wagen Sie erwarten. Ihr Freund Dracula." Hm.
  (Harker faltet den Brief zusammen.)
Wirtin: Junger Herr!
Harker: Hm.
  (Harker faltet den Brief zusammen.)
Wirtin: Wissen Sie denn nicht, was morgen für ein Tag ist?
Harker: Doch, der 4. Mai! Warum?
Wirtin: Es ist die St.Georgsnacht! Alle bösen Geister treiben da, was sie wollen.
Harker: (lacht) Ach was! Abergläubisches Geschwätz! An solchen Unfug glaube ich nicht!
Wirtin: Junger Herr! Wissen Sie, wohin Sie gehen? Und zu wem Sie gehen? Bleiben Sie hier! Noch können Sie zurück! (schluchzt) Ich flehe Sie an!
Harker: Aber gute Frau, das ist unmöglich. Ich habe einen geschäftlichen Auftrag, der mich zum Grafen Dracula führt.
Wirtin: So nehmen Sie wenigstens um Ihrer Mutter willen dies Kreuz von mir.
  (Klirren einer Halskette.)
Der Himmel beschütze Sie!
   
Erzähler: Damit legte sie dem verwirrten Harker ihren Rosenkranz, an dem ein kleines Kruzifix hing, um den Hals und verließ unter Tränen das Zimmer. Der junge Mann war auf einmal nicht mehr so zuversichtlich wie gewohnt.
  (Orgelmusik.)
  Die Fahrt in der Postkutsche konnte Jonathan Harkers niedergedrückte Stimmung kaum bessern.
  (Pferdewiehern. Räderrollen.)
  Zuerst fanden zahlreiche Knoblauchbündel an sämtlichen Fenstern und Türen seine furchtsame Verwunderung. Hatte er doch gehört, daß Knoblauch manchmal als Abschreckungsmittel für Geister verwendet wurde. Auch führten seine Mitreisenden erregte Reden, wobei sie ihm angstvoll besorgte Blicke zuwarfen oder aus dem Wagenfenster in das Dunkel der Nacht deuteten. Einige Ausdrücke, die immer wiederkehrten, hörte er heraus.
   
  (Stimmengewirr.)
Harker: Ordog, Pokol, Stregoica, Vrolock ...was mögen diese Begriffe nur bedeuten? Ich muß das Wörterbuch befragen. So ...
  (Harker blättert im Wörterbuch.)
  "Satan", hm ... und hier ... "Hölle" ... "Stregoica: Hexe" ... "Werwolf", und hier: "Vampir: Blutdürstige Wesen in Wolfs- und Fledermaus-Gestalt." Mein Gott, schrecklich! Das macht mir nicht gerade Mut zur Fahrt auf Draculas Schloß. Auch fegt der Wind seit einiger Zeit seltsam geformte Nebelfetzen neben dem Wagen her. In der Tat ... gespenstisch! Da! Jetzt hält die Kutsche.
  (Der Verschlag wird geöffnet. Schneidender Wind.)
Postillon: Mein Herr! Wir haben die Höhe des Passes erreicht. Wenn Sie unbedingt wollen, mögen Sie hier aussteigen.
  (Schneidender Wind.)
Dracula: Natürlich will er hier aussteigen, Dummkopf! Der Mann ist mit meinem Herrn verabredet. Guten Abend, Herr Harker! Kommen Sie mit, dort wartet unsere Kutsche.
   
Erzähler: Aus dem Dunkel hatte sich eine hohe Gestalt mit einem großen schwarzen Hut auf dem Kopf gelöst, die ihre Gesichtszüge beim Näherkommen verborgen hielt. Im Lampenlicht glaubte Harker allerdings, die Augen rot funkeln zu sehen.
  (Synthesizer-Musik.)
  Schreiend wandten sich die Insassen des Wagens ab und bekreuzigten sich. Nur die Erinnerung an seinen Auftrag und seine Pflicht konnten Jonathan Harker dazu bewegen, die Fahrt mit dem schwarzen Mann anzutreten, die sofort in wildem Tempo begann, kaum daß er im Wagen Platz genommen hatte.
  (Räderrollen. Hufgetrappel.)
  Später, der Mond ergoß sein volles Licht auf die unheimlich einsame Landschaft, nahm Harker ein immer stärker werdendes, fürchterliches Geräusch von draußen wahr.
   
  (Wolfsgeheul.)
Harker: Höre ich recht?
  (Wolfsgeheul.)
  Wölfe! Wir nähern uns ihnen. Da sind sie schon, ein ganzes Rudel! Gott sei uns gnädig. Die armen Pferde scheuen wie wild!
  (Pferdewiehern.)
  Und da: eine unheimliche blaue Flamme am Weg! (klopft) Kutscher! Was sollen wir tun? He, Kutscher! (klopft)
  (Synthesizer-Musik.)
  Er scheint mich nicht zu hören.
  (2. Synthesizer-Musik.)
  Jetzt springt er ab, der Wahnsinnige!
Dracula: Zurück! Stregoica! Vrolock! Zurück!
Harker: Was tut er? Träume ich? Er ruft den Bestien etwas zu. Wie Befehle klingen seine Worte. Er schwingt seine unheimlichen lange Arme, als wollte er sie vertreiben und ... Nein, nicht möglich: die Wölfe weichen zurück! Ja, weichen langsam zurück, einer nach dem anderen. Sie sind fort! Fort! Hm. Aber da: die blaue Flamme! Sie nähert sich drohend im Mondlicht! Was wird er tun, der Unheimliche?! Wie? Er legt Steine vom Weg zu einer Art Figur zusammen. Die Flamme weicht zurück, ja, sie entfernt sich. Doch merkwürdig: der Kutscher! Steht er denn nicht zwischen mir und der Flamme?! Müßte mir seine Gestalt mir nicht die Sicht auf die Flamme verdecken? Sie tut es nicht! Ich sehe durch ihn hindurch! Es muß eine Täuschung sein, es kann nur eine Täuschung sein.
   
Erzähler: Ehe Harker noch weiter rätseln konnte, war der Kutscher wieder aufgesprungen und weiter ging die rasende Fahrt in Sturm und Schnee dem Schlosse Draculas zu. Viele ähnliche beunruhigende Erscheinungen unterbrachen noch die Fahrt durch die immer steiler werdenden Berge, bis auf einmal nach einer harten Wegbiegung, geisterhaft vom fahlen Mondlicht beschienen, das Ziel vor ihnen lag: Burg Dracula.
  (Orgelmusik.)
  Im Hofe des ruinenhaften Gebäudes wurde der Besucher samt seinem Gepäck vom Kutscher abgesetzt, der mit dem Wagen in einem düsteren Torbogen verschwand. Wenig später hörte Harker vom Haus her ein Geräusch.
   
  (Schloßtür wird geöffnet. Schritte.)
Dracula: Willkommen auf meinem Schloß. Ich bin Dracula ... und begrüße Sie, Herr Harker.
   
Erzähler: Der Angesprochene trat näher und gab dem Grafen die Hand. Der ergriff und drückte sie dermaßen, daß Harker zusammenzuckte. Beklommen dachte er:
   
Harker: Welch ungeheuerliche Kraft in seinem Griff ist. Dabei fühlt seine Hand sich eiskalt an, wie die eines Toten. Auch glaube ich fast, Fast glaube ich, dieselbe Person wie den Kutscher vor mir zu haben.
Dracula: Kommen Sie, Herr Harker! Sie sollen Ihr Zimmer sehen.
  (Schritte.)
   
Erzähler: Nach langen Wegen über endlose Korridore und steile Wendeltreppen gelangten sie in einen hell erleuchteten Raum. Harker dachte ein wenig erleichtert:
   
Harker: Ach, wenigstens hier nicht die drückende Atmosphäre. Im Kamin flackert ein kräftiges Feuer, der Tisch ist gedeckt.
Dracula: Wollen Sie erst ein wenig ruhen, mein Freund?
Harker: Danke, Graf, es ist nicht nötig.
Dracula: Dann stärken Sie sich nach der anstrengenden Fahrt.
Harker: Gerne. Vorher aber muß ich Ihnen noch diesen Brief von Mr. Hawkins übergeben.
Dracula: Danke.
  (Dracula entfaltet den Brief.)
Harker: Leider hinderte ihn seine Gicht daran, selbst die lange Reise von London hierher zu machen, um mit Ihnen das Geschäft zu besprechen.
   
Erzähler: Während Dracula das Schreiben las, verzehrte Harker das schmackhafte Abendbrot, wobei er Gelegenheit hatte, sein Gegenüber genau zu beobachten. Er dachte:
   
Harker: Ein solches Gesicht habe ich noch nie gesehen. Scharf gebogene Nase, ungewöhnlich hohe gewölbte Stirn, ein harter, grausamer Mund, spitze Ohren, fast geier- oder habichtartig, hm, und dann die langen scharfen ... Hundezähne, die über die Lippen hervorragen. Ungewöhnlich ... und sonderbar!
   
Erzähler: Harker dachte ein wenig erleichtert:
   
  (Geschirrklappern. Feuer prasselt im Kamin.)
Harker: Ach, wenigstens hier nicht die drückende Atmosphäre. Im Kamin flackert ein kräftiges Feuer, der Tisch ist gedeckt.
Dracula: Ich hoffe, es hat Ihnen geschmeckt, Herr Harker.
Harker: Danke, Graf.
Dracula: Kommen wir nun zum Geschäftlichen. Wollen Sie mir ein wenig über die Möglichkeiten berichten, ein Haus in London zu kaufen? Ich werde Sie auch gleich über meine speziellen Wünsche diesbezüglich unterrichten. Ich nehme doch an, Sie werden hoffentlich eine zeitlang hierbleiben, damit ich durch das Gespräch und die Unterhaltung mit Ihnen mein Englisch vervollständige. Verständlicherweise möchte ich nicht fortwährend für einen Fremden gehalten werden, wenn ich nach London übersiedle.
   
Erzähler: Das Gespräch dauerte, bis der Tag graute. Kaum hatte der Graf den Hahnenschrei gehört, sprang er auf.
   
Dracula: Schon Morgen? Wie konnte ich Sie nur so lange aufhalten? Ich wünsche Ihnen gute Ruhe und einen erfreulichen Tag. Leider halten mich dringende Geschäfte davon ab, Ihnen den Tag über Gesellschaft zu leisten.
Harker: Danke, Graf. Ich werde mich schon beschäftigen.
Dracula: Hm. Falls Sie die Absicht haben sollten, Ihr Zimmer zu verlassen, seien Sie vorsichtig. Versuchen Sie keinesfalls, in verschlossene Räume einzudringen, und lassen Sie sich warnen, in einem anderen Teil des Schlosses zu schlafen. Sie könnten ... einen bösen Traum haben. Und Sie wissen ja, nach allem, was Sie bereits erlebt haben, daß sich in Transsylvanien seltsame Dinge ereignen. (lacht kurz in sich hinein)
  (Schritte. Tür wird geschlossen.)
  (Orgelmusik.)
   
Erzähler: Am Tage, beim Durchstreifen des Schlosses, stellte Harker zu seinem Schrecken fest:
   
  (Rütteln an Türen. Schritte.)
Harker: Nichts als verschlossene und verriegelte Türen. Ich bin gefangen. Nirgends ein Ausweg als durch die Fenster. Und das Schloß steht am Rande eines schrecklichen Abgrundes. Und dann diese Totenstille, unheimlich. Kein Lebewesen ist zu entdecken, ich scheine hier völlig allein mit Dracula zu sein. Ich habe Angst.
   
  (Orgelmusik.)
  (Synthesizer-Musik.)
Erzähler: Am Abend war Dracula einige Stunden bei Harker und führte mit ihm eine ausgedehnte Unterhaltung, vor allem über Schiffstransport, über Hauskauf und finanzielle Fragen. Wenn Dracula hierbei auch den Eindruck großer Kenntnisse auf Grund von Belesenheit erweckte: Jonathan Harker wurde das merkwürdige Gefühl nicht los, als spräche da jemand, der schon in vergangenen Jahrhunderten gelebt haben mußte. Das Gefühl verstärkte sich, als Dracula von der Herkunft und ruhmreichen Vergangenheit seines Geschlechtes zu erzählen anfing und dabei ständig das Wort "wir", einmal sogar das Wort "ich" gebrauchte. Dann verabschiedete sich der Graf unvermittelt, es war kurz vor Mitternacht, und ließ Harker allein. Bevor dieser Harker schlafen ging, befestigte er noch den Rosenkranz mit dem Kreuz, den ihn die Wirtin in Bistritz aufgedrängt hatte, und dessen Besitz ihm nun doch eine eigenartige Beruhigung war, über seinem Bett. Danach öffnete er ein Fenster, um noch etwas Luft einzulassen und starrte voll dumpfer Gefühle hinaus in die Mondnacht. Da, nach einer Weile, sah er schräg unter sich, dort, wo sich die Räume des Grafen befinden mußten, etwas Unheimliches.
   
  (Heulender Wind. Ein Käuzchenruf.)
Harker: Da! Da schiebt sich eine Gestalt aus dem Fenster ... Dracula! Ja, er ist es. Aber was ist das? Sein schwarzer Mantel erscheint mir plötzlich wie ... ja, wie ein Paar großer Flügel! Er beugt sich weit vor, der Unvorsichtige. Zu weit vor! Und stürzt hinab! N-nein, nein, er fliegt! Wie eine Fledermaus flattert er davon. Gräßlich! Ungeheuerlich! Welche Kreatur verbirgt sich in diesem Wesen? Und ich bin in seiner Gewalt! Oh mein Gott, könnte ich doch nur fliehen! Wüßte ich doch, wo hinaus! Ich muß mich noch einmal im Schloß umsehen, jetzt, wo Dracula fort ist. Vielleicht läßt mich der Himmel doch noch einen Fluchtweg finden.
  (Schritte. Harker nimmt die Lampe.)
   
Erzähler: Er nahm seine Lampe und machte sich auf, um noch einmal die vielen Türen und Schlösser zu untersuchen, die ihn an der Flucht hinderten. In einem entlegenen Teil des Gebäudes, einige Stockwerke tiefer, stieß er auf eine große verriegelte Tür, die das Ende eines Ganges bildete.
   
Harker: Dort hinter der Tür müßte es zum Hof gehen. Hoffentlich gelingt es mir, die Tür aufzubrechen.
  (Gepolter.)
  So, ja ... Was? Kein Gang? Statt dessen ein angenehm eingerichteter Raum.
  (Schritte.)
  Staub über allem, der Staub der Jahrhunderte. Ich werde mich einen Augenblick setzen. So ... Aber was ist nur mit mir? Bleierne Schläfrigkeit überfällt mich ... ich bin müde ... zum Sterben müde ...
   
Erzähler: Harker war eingeschlafen. Aber er war nicht mehr allein im Raum. Da standen drei junge Frauen im Mondlicht, das durch sie hindurchschien. Mit feurigen, gierigen Blicken starrten sie auf den Ruhenden und leckten sich wollüstig die roten Lippen, zwischen denen, wenn sie lächelten, jeweils zwei spitze, lange, weiße Fangzähne hervorglänzten.
   

   
  (Synthesizer-Musik.)
Erzähler: Während die Schönste von ihnen sich an Harker herandrängte, flüsterten die anderen lüstern:
   
1. Vampirbraut: Nur zu, Schwester! Du bist die erste! Wir sind nach dir an der Reihe!
2. Vampirbraut: Ja, er ist jung und kräftig. Ach, das gibt Küsse für jede von uns.
1. Vampirbraut: Seht, er hat die Augen aufgeschlagen.
2. Vampirbraut: Er ist in unserem Bann, der Schöne!
1. Vampirbraut: Ja, wie er sich nach der jüngsten von uns sehnt! Hört ihn nur!
Harker: Komm, schönes Mädchen, näher zu mir!
3. Vampirbraut: Hier bin ich, Liebster! Soll ich dich küssen?
Harker: Ja, ja, bitte komm! Küß mich, oder ich sterbe vor Verlangen!
3. Vampirbraut: Oh, das ist gut. (Sie stöhnt lüstern.) Du sollst ihn haben, deinen Kuß. So ...
   
Erzähler: Sich vor unendlicher Blutgier die Lippen leckend, beugte sich die Vampirbraut über Harker, streifte ihm an Mund und Kinn vorbei und näherte sich seiner Kehle, näherte sich der Halsschlagader. In ohnmächtig entsetztem Verzücken spürte der junge Mann, wie ihre weichen Lippen sich dort auf seiner Haut festsaugten und zwei scharfe Zähne das Fleisch berührten. In diesem Augenblick ertönte wie durch einen Zauber plötzlich die zornbebende Stimme des Grafen, der in einem Sturm von Erregung herbeigeeilt zu sein schien. Wütende Blitze schossen die roten Augen des Dämons, als er das Mädchen zurückriß und rief:
   
Dracula: Hab' ich es euch nicht verboten, ihn anzurühren? Wie kann eine von euch es wagen, ihr Auge auf ihn zu werfen? Zurück! Dieser Mann ist mein. Habt ihr euren Gebieter verstanden?
3. Vampirbraut: Oh, du Grausamer! Du hast noch nie geliebt, und nie wirst du lieben können.
Dracula: Wohl kann ich lieben! Wißt ihr's selbst nicht am besten, aus vergangenen Tagen? Aber gut, morgen nacht sollt auch ihr ihn küssen können, wenn ich meinen Durst an ihm gestillt habe. Doch jetzt fort mit euch! Ich muß ihn auf sein Zimmer bringen und bald aufwecken.
2. Vampirbraut: Und müssen wir heute leer ausgehen?
Dracula: Das nicht. Hier! Ich habe euch etwas mitgebracht.
   
Erzähler: Er warf ihnen ein Bündel vor die Füße, aus dem das Schreien eines halberstickten Kindes drang und auf das sich die Mädchen alsbald blutdürstig stürzten.
   
  (Orgelmusik.)
   

   
  (Die Vampirbräute kichern.)
1. Vampirbraut: Kommt, Schwester, ich rieche frisches warmes Blut.
2. Vampirbraut: Ja, hört ihr, wie er atmet? Wo mag er sein?
3. Vampirbraut: Hierher! Er ist im Purpursalon. Er schläft.
alle drei: Schnell!
  (Die Vampirbräute kichern.)
2. Vampirbraut: Was ist? Lebt er?
3. Vampirbraut: Pst! Ja, er lebt. Weckt ihn nicht.
1. Vampirbraut: Oh, wie jung er ist. Und seht nur seine herrlich starken Adern!
  (Die Vampirbräute kichern.)
2. Vampirbraut: Das wird ein Festmahl!
1. Vampirbraut: Und bevor er aufwacht, ist er einer von uns.
  (Die Vampirbräute kichern.)
3. Vampirbraut: Aber Dracula! Der Alte hat uns doch verboten, ihn anzurühren.
2. Vampirbraut: Ach, Dracula ist weit. Kommt, wir wollen ja nur ein bißchen naschen. Ich komme um vor Durst.
1. Vampirbraut: Halt, Schwester! Nicht die Halsschlagader! Das merkt der Graf. Wir küssen ihm nur das Handgelenk, ganz vorsichtig.
2. Vampirbraut: Meinetwegen, ich nehm' das linke.
1. Vampirbraut: Und ich das rechte!
3. Vampirbraut: Und ich?
1. Vampirbraut: Nimm du seine Kniekehle, schnell, ehe er aufwacht!
3. Vampirbraut: Vorsicht, nicht so heftig!
  (Die Vampirbräute murmeln freudig.)
   
Erzähler: In diesem Augenblick ertönte plötzlich die zornbebende Stimme des Grafen, als er das Mädchen zurückriß.
   
1. Vampirbraut: Nein!
Dracula: Hab' ich es euch nicht verboten, ihn anzurühren? Wie kann eine von euch es wagen, ihr Auge auf ihn zu werfen?
2. Vampirbraut: Wir haben Durst, mein Gebieter, Durst!
3. Vampirbraut: Ja.
1. Vampirbraut: Und dieser junge Mann ist ein Geschenk der Hölle!
3. Vampirbraut: Oh, laß ihn uns, Gebieter!
Dracula: Zurück! Dieser Mann ist mein. Habt ihr euren Gebieter verstanden?
3. Vampirbraut: Ach, wie grausam du bist!
1. Vampirbraut: Wie niedere Mägde behandelst du uns!
3. Vampirbraut: Ja.
2. Vampirbraut: Dabei hast du uns einst geliebt, Dracula. Erst zweihundert Jahre ist es her, daß du mich zu deiner Braut gemacht hast.
3. Vampirbraut: Aber du willst nichts als Macht über die Lebenden, weil du selbst nicht sterben kannst. Graf Dracula, du hast nie geliebt, und du kannst nicht lieben!
  (Synthesizer-Musik.)
Dracula: Wohl kann ich lieben! Wißt ihr's selbst nicht am besten, aus vergangenen Tagen? Aber gut, morgen nacht sollt auch ihr ihn küssen können, wenn ich meinen Durst an ihm gestillt habe.
   
  (Synthesizer-Musik.)

   
Erzähler: Jonathan Harker hatte die grauenhafte Szene in einer Art von ohnmächtigem Dämmerschlaf miterlebt und nicht vergessen. Als er am nächsten Morgen in seinem Zimmer erwachte, sann er verzweifelt über seine Lage nach.
   
Harker: Willst du dem Schicksal entgehen, in der nächsten Nacht von den dämonischen Blutsaugern geküßt und dadurch womöglich selbst zum Vampir zu werden, so mußt du dich heute noch zu retten versuchen, oder bist auf immer verloren, Jonathan Harker! (Er atmet aus.) Wo mögen nur die Schlüssel des Schlosses aufbewahrt sein? Sicher in Draculas Gemächern, ja, nur dort können sie sein. Tagsüber brauche ich den Vampir nicht zu fürchten. Er erscheint wohl nur zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang. Doch wie gelange ich in seine Räume, wo mir alle Türen verschlossen sind? Es gibt nur einen Weg: ich muß versuchen, an der Außenwand des Schlosses entlang zu klettern, und wenn ich mir dabei den Hals breche. Auf, ans Werk!
   
Erzähler: Bevor er das Fenster öffnete, legte Harker sich noch das Kreuz um, das er bei seiner letzten Erkundung des Schlosses versehentlich nicht mitgenommen hatte. Nie hätte er früher gedacht, daß ein Symbol eine solche Hilfe bedeuten könne. Danach kletterte er vorsichtig aus dem Fenster und tastete sich, jede Unebenheit des Mauerwerks ausnutzend, an der Außenwand des Schlosses entlang.
   
  (Heulender Wind. Ein Käuzchenruf. Harker kriecht an der Mauer entlang.)
Harker: (stöhnt) Da ist ein Vorsprung. So ... nur nicht nach unten sehen in die gräßliche Tiefe, sonst ist's aus! Weiter ... so ... hier, und ...
  (Harker rutscht aus.)
  Ah! Ah ja ... das ging noch mal gut. So, weiter hinunter. So ... hier: das muß das Fenster zu Draculas Gemächern sein. Gott sei Dank, es steht offen. So, hinein.
  (Harker springt. Schritte.)
  Niemand da. Wo mag sich das Ungeheuer tagsüber aufhalten? Vor allem aber: Wo sind die Schlüssel? Hier, in diesem verstaubten Raum, ist nichts dergleichen zu entdecken. Da! Dort ist eine Tür zu einem Gang!
  (Schritte. Harker öffnet die Tür.)
  Eine Treppe, die hinunter führt.
  (Schritte.)
  Wo ... wo bin ich? Eine Gruft? Dort steht ein länglicher Kasten, ja - ja, ein Sarg. Er steht auf einem Haufen frischer Erde, sonderbar. Sollte der Graf ... ? Ich muß den Sarg öffnen, koste es, was es wolle! So!
  (Harker öffnet den Sarg.)
  (erschrickt, atmet aus) Dracula! Ist er tot, oder schläft er? Entsetzlich! Der haßerfüllte, höhnische Blick aus den offenen Augen! Und da, auf den Lippen: Tropfen frischen Bluts! Viel jünger sieht er aus, röter der Mund, voller die Wangen. Er muß sich mit Blut geradezu vollgesogen haben. Grauenvoll. Nein! (atmet aus) Nimm dich zusammen, Harker. Du mußt den gräßlichen Körper dort nach den Schlüsseln durchsuchen. Du mußt!
  (Harker durchsucht die Kleidung.)
  (erschrickt) Hat er sich bewegt? ... Nein, nein, er ist wie tot. Weiter.
  (Wieder ein Rascheln.)
  Mein Gott, wo mögen die Schlüssel nur stecken? Hier ...
  (Schlüssel klirren.)
  Hier! Das muß es sein! Herr im Himmel, hab' Dank! Und nun nichts wie fort, fort von diesem Ort des Grauens!
  (Harker läuft davon.)
   
  (Synthesizer-Musik.)

Seite 2

Erzähler: Einige Tage später. Jonathan Harker war die Flucht vom Schlosse Draculas geglückt, und er hatte sich nach London durchschlagen können. Jetzt saß er mit seiner Verlobten Mina Murray und Professor Abraham Van Helsing zusammen, einem niederländischen Gelehrten von der Universität Leiden, dessen Bekanntschaft und Hilfe ihm ein Freund vermittelt hatte. Van Helsing war hauptsächlich Mediziner; seine privaten Studien aber galten seit einiger Zeit vornehmlich der Mystik und allen irgendwie bekannten Erscheinungsformen abergläubischer Vorstellungen der Völker. Gerade sagte er:
   
Van Helsing: Es war gut, mein lieber Harker, daß Sie mich nach London riefen und mir von Ihren grauenvollen Erlebnissen berichtet haben.
Mina: Ja, glauben Sie denn, daß es diesen ... diesen Dracula wirklich gibt, Professor?
Van Helsing: Ich nehme zwar an, daß kaum ein anderer Gelehrter Ihren Erzählungen Glauben schenken würde, denn die Sache ist zu ungeheuerlich.
Mina: Ja, eben!
Van Helsing: Aber es ist etwas geschehen, das mir jeden Zweifel an der Existenz des Vampirs raubt.
Mina: Was ist das, Professor? Um Gottes Willen, wovon sprechen Sie?
Van Helsing: Nun, Dracula ist in England.
Harker: Mein Gott.
Mina: Was sagen Sie?
Harker: Und?
Van Helsing: Heute nacht, während des unheimlichen Sturms, ist im Hafen ein führerloses Schiff eingelaufen.
Mina: Führerlos! Wieso?
Van Helsing: Genauer gesagt: ein Schiff, das auf seiner Fahrt vom Schwarzen Meer her durch die Anwesenheit eines schrecklichen, ungeheuerlichen Wesens nach und nach die Besatzung verloren hat ...
Mina: (schreit auf.)
Van Helsing: ... wie aus dem Logbuch des Kapitäns hervorgeht, der als letzter sein Leben lassen mußte und dessen Leiche, ans Steuer gebunden, aufgefunden wurde.
Mina: Nein!
Harker: Entsetzlich. Und wo ist Dracula jetzt?
Van Helsing: Zeugen der unheimlichen Schiffsankunft behaupten, es sei ein Hund von Bord gesprungen.
Mina: Ein Hund!
Van Helsing: Ein wolfsähnlicher Hund, der sofort das Weite gesucht hätte.
Mina: Sie meinen, dieser Hund ist Dracula?!
Van Helsing: Natürlich ahnt kein Mensch etwas von dem Vampir, der nun unter uns ist.
Harker: Wir müssen Dracula unverzüglich finden und vernichten, koste es, was es wolle, oder London erlebt eine Bluthochzeit ohnegleichen.
   
  (Orgelmusik. Synthesizer-Musik.)
Erzähler: In der folgenden Nacht hörte Lucy Westenraa, die Freundin von Jonathan Harkers Verlobten Mina, vor dem Fenster ihres Schlafzimmers etwas wie ein Flattern.
  (Heulender Wind.)
  Sie öffnete das Fenster, konnte aber in der Dunkelheit nichts wahrnehmen und legte sich schlafen. Wenig später schwebte eine unnatürlich große Fledermaus ins Zimmer, und Sekunden darauf sah Lucy im Halbschlaf eine schwarze Gestalt über sich gebeugt.
  (Synthesizer-Musik.)
  Im Banne des Unheimlichen flüsterte sie:
   
Lucy: Wer bist du? Was willst du von mir?
Dracula: Dich will ich, schönes Kind. Ich werde dich küssen, so feurig, daß du dich bald nach dem Leben sehnen wirst, so lebenstrunken als Toter ... (kichert)
Lucy: Nein, laß mich. Ich fürchte mich vor dir ...
Dracula: Warte nur meine Umarmung und meinen Kuß ab, dann liebst du mich für immer. Komm, laß mich deinen weißen Schwanenhals küssen ... (Dracula beißt sie.)
Lucy: (stöhnt auf.)
Dracula: Ja, jaaa, hm, jaaa ...
Lucy: (stöhnt erneut auf.)
Dracula: Das war gut, Lucy. Und wir sehen uns wieder, meine Schöne.
   
  (Orgelmusik.)
Erzähler: Am nächsten Tag erwachte Lucy derart geschwächt, daß Mina, die ihre Freundin gerade besuchte, sofort Professor Van Helsing zu Hilfe holte. Der untersuchte das Mädchen, wonach er Mina schreckensbleich mitteilte:
   
  (Tür wird geöffnet. Schritte.)
Mina: Um Gottes Willen, Professor, was ist mit Lucy?
Van Helsing: Kein Zweifel! Dracula war bei ihr.
Mina: Grauenvoll.
Van Helsing: Wenn sie noch zu retten ist, müssen wir sofort eine Bluttransfusion vornehmen.
Mina: Bitte, Professor, tun Sie alles, was in Ihrer Macht steht.
Van Helsing: Ich kann allerdings nicht für ihr Wohl garantieren, wenn der Vampir sie weiterhin aufsucht, und das wird er versuchen.
Mina: Was sollen wir tun?
Van Helsing: Es muß also nachts ständig jemand bei ihr Wache halten.
   
Erzähler: Doch alle Vorsichtsmaßnahmen wurden von Draculas scharfsinnigem und listigen Hirn durchkreuzt. Es gelang dem Vampir noch ein paarmal, sich Lucy zu nähern, bis sie endlich nach vierzehn Tagen an Blutarmut starb. Am Tage nach ihrer Beerdigung rief Professor Van Helsing Jonathan Harker zu sich. Mit ernstem Gesicht erklärte er ihm:
   
Van Helsing: Was ich befürchtet habe, ist eingetreten.
Harker: Sprechen Sie, Professor.
Van Helsing: Ich habe die vergangene Nacht auf dem Friedhof zugebracht und Lucys Grab bewacht. Harker, Lucy ist durch die Begegnungen mit Dracula selbst zu einer Nichttoten geworden, die nachts ihre letzte Ruhestätte verläßt, um auf Beute auszugehen.
Harker: Ich hatte es befürchtet. Gibt es denn keine Möglichkeit, Professor, ihrer armen Seele Frieden zu geben?
Van Helsing: Es gibt eine Möglichkeit. Die Erfahrungen und Kenntnisse derer, die sich vor Jahrhunderten schon mit dem Studium der Nichttoten befaßt haben, weisen einen ... nicht leichten Weg, den Nosferatu, wie man den Vampir in Osteuropa nennt, zu erlösen. Wollen Sie mir helfen, Harker, dies Werk an Lucy zu tun, so kommen Sie heute nacht mit mir auf den Friedhof. Vielleicht finden wir dort auch eine Spur dessen, der sie zu seinem Opfer machte.
   
  (Orgelmusik.)
Erzähler: Nach Mitternacht drangen die zwei Männer auf dem Friedhof in die Gruft ein, die Lucys Sarg beherbergte.
   
Van Helsing: Öffnen wir den Sarg, Harker. Ja ...
  (Hämmern. Der Sarg wird geöffnet.)
Harker: (atmet aus.) Leer!
Van Helsing: Ach! (atmet aus.) Wir müssen also auf sie warten. Gehen wir nach draußen.
   
Erzähler: Nach zwei Stunden nahmen die beiden im fahlen Mondlicht eine Bewegung an der Friedhofsmauer wahr. Erregt flüsterte Harker:
   
  (Schritte. Heulender Wind.)
Harker: Dort! Sehen Sie, Van Helsing, eine Gestalt in weißen Leinentüchern.
Van Helsing: Sie ist es.
Harker: Das Gespenst kommt näher.
  (Synthesizer-Musik.)
Van Helsing: Es trägt ein Bündel im Arm.
Harker: Unheimlich erinnert es mich an jenes Kind, das Dracula damals seinen Vampirbräuten vorwarf.
Van Helsing: Auch jetzt ist es ein Kind, Harker. Da! Sie hat uns erkannt.
Harker: Mein Gott! Wie roh sie das Bündel zur Erde wirft! Und jetzt? Jetzt eilt sie mit wehenden Totenkleidern auf uns zu! Herr im Himmel, hilf! Da, was ruft sie mir zu?
Lucy: Komm, Jonathan! Komm zu mir! Ich sehne mich nach dir. Laß uns beieinander ruhen ...
Harker: Ja, Lucy, komm zu mir ...
Van Helsing: Harker, um Gottes Willen, geraten Sie nicht in ihren Bann! Sehen Sie nicht die messerscharfen Vampirzähne, die ihr gewachsen sind? Erkennen Sie nicht die wollüstig grausamen Gesichtszüge?
Lucy: Hör nicht auf ihn, Jonathan! Ich komme zu dir!
Van Helsing: Halt ein, Vampir! Ich muß ihr das geweihte Kreuz entgegenstrecken. Da! Siehst du das heilige Zeichen? Zurück!
Lucy: (schreit auf.) Laß mir meine Ruhe, Christ! Laß mich zurück in meinen Sarg!
Van Helsing: Mir nach, Harker!
  (Schritte.)
  Geht es Ihnen besser?
  (Schritte.)
Harker: Danke, ja.
  (Sie öffnen erneut den Sarg.)
Sehen Sie, Professor? Sie liegt bereits wieder im Sarg. Es sieht aus, als schliefe sie. Was, äh, was packen Sie dort aus Ihrer Tasche? Was haben Sie vor, Professor?
Van Helsing: Ich muß sie pfählen, ihr diesen Holzpflock ins Herz treiben. Nur so kann sie erlöst werden.
Harker: Schrecklich.
Van Helsing: Es muß sein.
  (Hämmern.)
Lucy: (schreit auf.)
  (Van Helsing hämmert weiter.)
(schreit schwächer, seufzt, atmet aus.)
Van Helsing: Sehen Sie, Harker, wie ihr Gesichtsausdruck sich verklärt hat?
Harker: Ja. Nun ist sie wieder die Lucy, die ich kannte. Jetzt hat sie ihren Frieden. Aber sehen Sie, Professor! Draußen vorm Eingang des Gewölbes! Dracula!
  (Synthesizer-Musik.)
Dracula: (lacht.)
Harker: Dracula!
Van Helsing: Er entfernt sich. Wir müssen ihn verfolgen! Auf!
  (Schritte.)
   
  (Orgelmusik.)
Erzähler: Es gelang Van Helsing und Harker, Dracula bis zu einem großen einsamen Haus im Zentrum Londons zu folgen, in dem der Vampir verschwand. Dann begaben sie sich nach Hause, in der Absicht, am nächsten Tage mit den nötigen Werkzeugen in das Gebäude einzudringen, es zu durchsuchen und den Vampir, wenn sie ihn fänden, zu vernichten. Sie ahnten nicht, daß Dracula ihnen auf dem Heimwege gefolgt war. Erschöpft schlief Jonathan Harker im Zimmer seiner Verlobten ein. Da spürte Mina plötzlich:
   
Mina: Noch jemand ist im Zimmer! Doch ich sehe nur einen merkwürdigen Nebel, der wohl mit Jonathan hereingekommen ist. Da! Hilfe! Aus dem Nebel entsteigt eine große schwarze Gestalt. Jonathan, Jonathan, hilf mir!
Dracula: Schweig, er kann dich nicht hören. Du sollst nun büßen, daß sie es wagen, meine Pläne zu durchkreuzen. Ich werde meinen Durst an dir stillen. Komm schon! (Dracula beißt sie.) So ... Ja ... (Er trinkt.) Und nun sollst du mein eigen Fleisch und Blut werden. Schau her, ich ritze eine Ader an meiner Brust. Und nun komm du! Trinke mein Blut! Komm! Ich befehle es dir. Trink!
Mina: (seufzt, atmet aus.)
Dracula: Und nun komm mit mir. Du wirst mich in meine Heimat begleiten und mich nie wieder verlassen. (er lacht.)
   
  (Orgelmusik.)
Erzähler: Voller Entsetzen über Minas Verschwinden stürmten Harker und Van Helsing am nächsten Morgen zu dem alten Haus im Zentrum der Stadt. Doch als sie dort eingedrungen waren, fanden sie nichts Bemerkenswertes, außer einem Rest Erde in der Halle.
   
Harker: Er muß das Haus gekauft haben und hat dann vom Schiff seinen Sarg mit der Heimaterde hierher schaffen lassen, um darin tagsüber ungestört seinen Vampirschlaf verbringen zu können.
Van Helsing: Sehen Sie, hier hat der Sarg gestanden.
  (Schritte.)
Harker: Mein Gott. Und keine Spur von Mina.
Van Helsing: Doch! Vielleicht hier! Sehen Sie, Harker, dort ist ein Zettel, eine Nachricht von Dracula.
Harker: Geben Sie her.
  (Harker entfaltet den Zettel.)
  "Lieber Freund, glaubten Sie ernstlich, das Hirn eines Dracula überlisten zu können? Wenn Sie diese Zeilen lesen, habe ich Ihre unfreundliche Insel bereits verlassen. Transsylvanien ist ein schöneres Land. Leben Sie wohl, Dracula. P.S.: Ihre reizende Verlobte ließ sich nicht davon abhalten, mich zu begleiten."
Van Helsing: Das Ungeheuer hat Mina tatsächlich entführt! Ob sie noch zu retten ist?
Harker: Wir müssen es versuchen! Möge uns der Himmel mit seinem Segen beistehen!
   
  (Orgelmusik.)
Erzähler: Tage später, in einer eisigen Winternacht, hatten Harker und der Professor ihr unheimliches Ziel erreicht: sie standen in Transsylvanien vor dem Tor der Burg Dracula. Todesmutig erklommen die beiden Männer die Mauer und schlichen sich ins Schloß. Als sie in die Nähe der festlich erleuchteten Halle kamen, hörten sie Stimmen.
   

   
1. Vampirbraut: Ich kann's gar nicht abwarten, die Neue zu sehen. Sie soll sehr schön sein.
2. Vampirbraut: Ja, dem Teufel sei Dank! Noch ist sie keine Schwester von uns. Erst werden wir unseren Durst an ihr stillen - solange, bis sie stirbt.
1. Vampirbraut: Ruhig, der Gebieter kommt!
Dracula: Liebe Schwestern, ich habe euch nicht zuviel versprochen. Wir haben einen Gast bei uns, dem zu Ehren wir heute nacht ein Festmahl feiern wollen, wie lange keins. Geduldet euch, bis das Mädchen erscheint. Um Mitternacht soll das Fest beginnen.
   

   
  (Die Vampirbräute tuscheln.)
1. Vampirbraut: Habt ihr schon gehört, Schwestern?
2. Vampirbraut: Ja, Dracula hat eine Neue mitgebracht, Mina soll sie heißen.
3. Vampirbraut: Ich habe sie gesehen, sie ist schön, sehr schön!
1. Vampirbraut: Dem Teufel sei dank, endlich eine Schwester.
2. Vampirbraut: Noch nicht! Erst wenn wir ihr Blut gekostet haben, wird sie eine von uns.
3. Vampirbraut: Oh, wir werden sie aussaugen, bis sie so bleich ist wie wir, bis sie selbst nach süßem, rotem Blut von Lebenden dürstet.
2. Vampirbraut: (lacht) Diesmal wird Dracula unsere Mahlzeit nicht verderben. Wo ist die neue Braut?
1. Vampirbraut: Still! Dracula kommt!
3. Vampirbraut: Oh, unser Gebieter!
Dracula: Liebe Schwestern, ich habe euch nicht zu viel versprochen. Wir haben einen Gast bei uns, dem zu Ehren wir heute nacht ein Festmahl feiern wollen, wie lange keins.
1. Vampirbraut: (sie lächelt.) Führe uns zu ihr, Gebieter.
2. Vampirbraut: Ja, wir werden die Braut für unser Fest schmücken.
3. Vampirbraut: Wo ist sie?
Dracula: Geduldet euch, bis das Mädchen erscheint. Um Mitternacht soll das Fest beginnen.
  (Die Vampirbräute kichern und gehen.)
   

   
Harker: Dem Himmel sei Dank, Professor. Sie lebt noch. Doch wo finden wir sie?
Van Helsing: Still, Harker. ich höre ganz entfernte Töne.
Mina: (singt.)
Harker: Das ist Mina. Kommen Sie, Professor, jede Sekunde ist kostbar.
  (Schritte.)
Van Helsing: Halt! Dieser Raum muß es sein. Sie ist nicht allein. Halten Sie das Kreuz bereit. Vorwärts!
  (Sie öffnen die Tür.)
Harker: Mina!
Mina: Jonathan!
3. Vampirbraut: Oh, noch zwei Lebende! Ha, welche Überraschung! Kommt näher, laßt euch umarmen!
Mina: Vorsicht, Jonathan!
Van Helsing: Halten Sie ihr doch das Kreuz entgegen, Harker! Kommen Sie, Mina!
  (Schritte.)
  Rasch!
Harker: Da, Vampir! Siehst du das Zeichen?
3. Vampirbraut: Beim Satan! (stöhnt.) (schreit auf.)
Van Helsing: Kommen Sie, Mina!
  (Schnelle Schritte.)
  Rasch, Harker, fort von hier, ehe die anderen auf dem Schloß uns bemerken.
  (Schnelle Schritte.)
Harker: Kannst du noch, Mina?
Mina: Danke. Ja, Jonathan. Doch sieh! Dort, die Tür!
  (Eine Tür fällt ins Schloß.)
Harker: (atmet aus.) Zugeschlagen!
Van Helsing: Wieder zurück, Freunde!
  (Schritte. Eine weitere Tür fällt ins Schloß.)
Harker: Schluß, aus. Auch die Tür hat man uns vor der Nase zugeschlagen. Wir sitzen fest.
  (Schritte nähern sich.)
Mina: Sicher ist das Dracula. Da, jetzt wird das kleine Fenster in der Tür geöffnet.
  (Entsprechendes Geräusch.)
Dracula: Ich begrüße die Herren in meinem Schloß. Ihr Besuch kommt zwar nicht ganz erwartet, doch freue ich mich, Sie so bald wiederzusehen. Oh, Sie sind in Damengesellschaft, wie unterhaltsam. Nun ja, vorzustellen brauche ich die Herrschaften einander wohl nicht. Übrigens bin ich untröstlich, nicht näherkommen zu können. Sie führen da solch ... widerwärtige Gegenstände mit sich, die Sie mir anstelle Ihrer Hände zur Begrüßung entgegen strecken könnten, und das würde mich bedauerlicherweise ein wenig behindern, Sie gebührend zu begrüßen. Aber ich kann es mir natürlich nicht nehmen lassen, dies später zu tun, wenn Sie soweit sind. (lacht.) Sie verstehen? Gastgeberpflichten!
Van Helsing: Wir haben Sie verstanden. Und wir können warten, Dracula.
Dracula: Oh, wirklich? Sollte das ungemein sachkundige Professorenhirn daran gedacht haben, daß die Türen tagsüber von den Schloßbewohnern nicht bewacht werden können? Und daß manche verschlossene Tür schon mit Gewalt gesprengt wurde? Aber, verehrter Professor! Da würd' ich mich schlecht um die Sicherheit der mir anvertrauten Seelen kümmern. (lacht.) Nein, nein, tagsüber werden natürlich meine lieben Vierbeiner vor den Türen Wache beziehen.
Harker: Er meint die Wölfe.
Dracula: Ganz recht.
Mina: Schrecklich.
Dracula: Ganz recht! Und nun schlafen Sie wohl! Haben Sie nur ein wenig Geduld. Schneller als Sie denken, werden wir die notwendigen - wie sagt man doch bei Ihnen, Professor - Bluttransfusionen an Ihnen vornehmen. (lacht.) Und nun schlafen Sie wohl.
  (Das kleine Fenster wird wieder vorgeschoben.)
  Hört, Schwestern! Ihr haltet vor jeder Tür Wache, verstanden?
1. Vampirbraut: Natürlich.
2. Vampirbraut: Wir gehorchen, Gebieter!
   
Erzähler: Die Lage schien verzweifelt, wenn nicht aussichtslos. Da kam dem Professor eine Idee, und wenig später, nachdem er seine List, so leise er nur konnte, Mina und Harker mitgeteilt hatte, konnte die Vampirbraut, die die zum Hofe führende Tür bewachte, einen erregten Wortwechsel mitanhören.
   
Mina: Hättest du daheim nur besser auf mich acht gegeben!
3. Vampirbraut: Was geht da vor? Sie streiten?
Mina: Nie hätte mich Dracula dann entführt! Nie wären wir dann jetzt in solch schrecklicher Lage. Aber du hattest ja Wichtigeres zu tun!
Harker: Mina, mäßige Dich!
Van Helsing: So, jetzt das Messer, Mina! Hier, an seinen Arm!
Mina: Ja! So ...
3. Vampirbraut: Wenn ich durch diese Türritze nur besser sehen könnte!
Harker: Mina!
Mina: Ach was! Ich hasse dich! Du bist an allem schuld! Oh, ich bringe dich um!
Harker: Mina!
Mina: Ah! So ...
  (Schritte.)
3. Vampirbraut: (erschrickt) Da! Da blitzte ein Messer, sie wird doch nicht ...
Harker: (schreit.)
  (Ein Körper fällt zu Boden.)
Mina: So!
Van Helsing: Mina! Zurück! Verlieren Sie nicht den Verstand!
3. Vampirbraut: Bei Satan, Blut! Süß und rot! Blut! (atmet ein und aus.)
Van Helsing: Hoffentlich ist es noch nicht zu spät! Da, sehen Sie sich an, welche Wunde Sie ihm beigebracht haben. Wenn es nur gelingt, sie noch rechtzeitig zu schließen! Kommen Sie, helfen Sie mir!
   
Erzähler: Es war soweit. Der Vampir sah ein paar Tropfen einer Flüssigkeit unter der Türe hindurchsickern, die ihn rasend machen mußte: Blut! Voll unbändiger Gier leckte die blutdürstige Nichttote die spärlichen Tropfen vom staubigen Steinboden auf. Dann hörte sie durch die Tür wie der Professor aufstöhnte:
   
Van Helsing: Es ist zu spät, Mina. Was haben Sie nur getan! Er verblutet in meinen Armen!
3. Vampirbraut: Nein! Nein, das darf nicht sein, ich ... ich muß ...
  (Sie beginnt, die Tür zu öffnen.)
   
Erzähler: Da war es um die Beherrschung des Vampirs geschehen. Wie besessen öffnete die Schönste von Draculas Bräuten die Tür, um an dem vermeintlichen Blutbad ihren Durst zu stillen.
   
  (Die Tür wird geöffnet. Schritte.)
3. Vampirbraut: (atmet ein und aus.)
Van Helsing: Fort, Freunde! Und zeigt ihr das Kreuz!
  (Schnelle Schritte.)
Harker: Da!
3. Vampirbraut: (schreit.)
Van Helsing: Fort, Freunde!
Harker: Lauft! Lauft um euer Leben, Freunde!
   
Erzähler: Während sie auf den Hof gelangten, mit äußerster Hast die Mauer überstiegen und in ihre zurückgelassene Kutsche sprangen, hörten sie voll Entsetzen Dracula näher kommen.
   
  (Heulender Wind. Eine fahrende Kutsche.)
Dracula: Ihr entgeht mir nicht! Dracula werdet ihr nicht überlisten! Und faß ich euch nicht auf dem Erdboden, so in der Luft!
Mina: Professor! Eine riesige Fledermaus verfolgt uns! Sie ist über uns!
Harker: Es ist Dracula.
Van Helsing: Hüah! Ho!
  (Hufgetrappel.)
  Schneller, ihr Pferde! Schneller!
  (Rasende Kutsche.)
Mina: Professor! Eine riesige Fledermaus verfolgt uns! Sie ist über uns!
Harker: Es ist Dracula.
Van Helsing: Harker, das Kreuz!
Harker: Hier, Dracula! Siehst du das Zeichen dessen, der mächtiger ist als die Mächte der Finsternis?
Dracula: Wartet! Ihr ... (schreit.)
   
Erzähler: Unter dem Schutze des Kreuzes gelang es den dreien, lebend den Borgo-Paß hinab nach Bistritz zu kommen, wo sie sich in Sicherheit brachten. Dann, als der Tag anbrach, reisten sie ohne Aufenthalt in ihre Heimat.
  (Orgelmusik.)
  Graf Dracula aber, der auf diese Opfer hatte verzichten müssen, war zähneknirschend auf seine Burg zurückgekehrt und legte sich beim Morgengrauen in seinen Sarg in der Gruft. Zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang aber verläßt der Blutsauger immer wieder seine Ruhestätte, um ohne Unterlaß nach neuen Opfern zu suchen, denen er seine spitzen Fangzähne in den Hals schlagen kann. Wann begibt er sich wieder fort aus Transsylvanien? Niemand weiß es. Er, der vor Jahrhunderten geboren wurde und ein Nichttoter ist, kann sich Zeit lassen. Seien wir auf der Hut ...